Meine Augen gehen auf und ich blicke mich in dem rustikal eingerichteten Zimmer um. Ich greife nach dem Wasser auf dem Tisch neben mir und nehme einen großen Schluck um meinen Durst zu löschen. Dann löse ich eine Tablette aus dem Blister und schlucke sie mit einem weiteren Schluck angewiedert herunter. Sie sind sehr bitter aber notwendig. Ich war kurz vor unserer Abreise aus Paraguay noch beim Zahnarzt und muss sie noch einige Tage lang nehmen.
Dann drehe ich mich herum und schau Annika an. Sie öffnet langsam die Augen, grinst mich an und räkelt sich während sie beherzt gähnt. “Aufstehen?”, frage ich? Sie bejat meine Frage und wir erheben uns, wandern in das kleine Bad, welches gerade groß genug für die winzige Badewannen-Dusch-Kombination, ein Klo und ein Waschbecken ist. Gestern Abend gab es eine lustige Szene, als Annika völlig verzweifelt nach mir rief, weil sie den Wasserhand nicht abstellen konnte. Die Hähne hier werden nämlich nach vorne gezogen anstatt gedreht zu werden.
Wir putzen uns die Zähne, holen uns ein Brot aus dem Kühlschrank und dippen es in den Spinatdipp, den wir uns gestern zusammen mit diversen anderen Leckereien im Publix gekauft hatten. Dann steht die Frage der Fragen im Raum: was machen wir heute? Da wir nur kurz in Miami sind und auch gar nicht so viel sehen wollen müssen wir uns zwischen einer Tour in die Everglades oder einen Ausflug zum Strand entscheiden. Da morgens das Licht besser zum Fotografieren ist und die Fahrt zu den Everglades fast eine Stunde benaspruchen würde, entscheiden wir uns für letzteres.
Wir rufen ein Uber, verlassen das kleine Motel und fahren nach Miami Beach. Ich dachte immer Miami Beach ist der Strand von Miami aber in Wirklichkeit handelt es sich dabei um einen Stadtteil. Eine kleine, vorgelagerte Insel die man über zwei Brücken, eine im Süden und eine im Norden, erreichen kann. Dort wollen wir uns einen Roller mieten um die Stadt zu erkunden und wir wollen natürlich an den Strand. Annikas erklärtes Ziel ist es, die bunten Hütten der Rettungsschwimmer zu fotografieren.
Angekommen in Miami Beach steigen wir aus dem Uber und werden erst mal von der morgentlichen Hitze erschlagen. Wir spazieren eine der Nord-Süd Hauptstraßen entlang und halten ausschau nach einer Rollervermietung. Unterwegs stoppen wir bei einem Klamottenladen. Es ist eine riesige Halle, bestimmt 3 normale Stockwerke hoch. An den Wänden hängen bis oben hin Klamotten. Mitarbeiter hängen sie mit langen Stangen auf. Wir bummeln durch die Gänge, entscheiden uns aber dagegen etwas zu kaufen. Die Sachen sind zwar schön und mit 10 $ für ein T-Shirt sogar gar nicht so teuer aber wir haben einfach keinen Platz in den Rucksäcken, könnten sie also gar nicht mitnehmen, selbst wenn wir wollten.
Dann schlendern wir weiter die Straße hinab. Bei einer Vermietung fragen wir nach dem Preis eines Rollers. Dieser stimmt mit dem überein, was wir zuvor online herausgefunden haben. Rund 100 $ für zwei Tage. Wir bummeln noch etwas weiter um zu schauen ob es nicht doch noch ein günstigeres Angebot gibt und außerdem haben wir ja Zeit und wollen uns umschauen. Miami Beach sieht großartig aus. Genau wie im Fernsehen. Die Straßen sind gesäumt von Palmen, die Menschen spazieren in Bikinis und Shorts die Straßen auf und ab und ein Sportwagen folgt dem nächsten. Besonders häufig sieht man die Ford Mustang Cabrios. Scheint wohl das Lieblingsautos der Miamier zu sein. Doch auch Mercedes, Porsche und alles was sonst noch Rang und Namen hat ist vertreten.
In einer Nebenstraße finden wir auf der Suche nach einem Geldautomaten einen weiteren Rollerverleih. Der Preis ist der gleiche doch der Besitzer weist uns darauf hin, dass wir mit einem Roller die Insel nicht verlassen dürften. Auf den Brücken gibt es eine Mindestgeschwindigkeit, ähnlich wie auf der Autobahn. Also sind Roller verboten und man dürfte damit nur in Miami Beach fahren. Was? So ein Mist. Dann brauchen wir auch keinen Roller, beschließen wir. Eigentlich wollten wir mit dem Zweirad durch die Stadt fahren und Fastfoodläden abklappern. Auf unserer Wunschliste stand Hooters, Denny’s und Voodo Donuts.
Etwas enttäuscht laufen wir zur nächstgelgenen Bank und holen Geld ab. Erfreulicheweise ist diese nur eine Straße weiter. Dann gehts zum Strand, welcher ebenfalls nur drei Straßen weiter liegt. Dabei durchlaufen wir eine Schlucht zwischen Luxushotels und befinden uns auf einmal in der Fußgängerzone. Eine Promedae von der aus kleine Wege zwischen den Sanddünen hindurch zum Strand führen. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich kleine Läden oder die Rückseiten der eingezäunten Hotels. Der Weg ist sehr schön gemacht und immer da, wo sich eine kreisförmige Kreuzung zwischen Promedae, Strand und Straße in die Stadt befindet, haben sich Händler mit Schmuck, Obst und Getränken an kleinen Klapptischen niedergelassen und versorgen Touristen mit dem notwendigen Ramsch.
Wir schlendern durch eine der Dünen und dann sind wir da. Der Strand von Miami Beach. Im Schatten einer Strandbar kaufen wir uns eine eiskalte Cola, blicken uns um und uns stockt kurz der Atem. Es ist wunderschön. Es ist einer der schönsten Strände an den wir bisher waren. Es sind zwar viele Touristen da aber es wirkt nicht überlaufen. Sie verteilen sich mehr oder weniger gleichmäßig über die gesamte Länge des Strandes.
Die Flipflops werden ausgezogen und wir spazieren barfuß durch den Sand. Hier und da bleiben wir stehen und machen ein paar Fotos. Die Sonne brennt und wir haben natürlich vergessen uns einzucremen – typisch. Eigentlich wollten wir ja mit dem Roller zurück zum Motel und den Rest unser Sachen holen. Da wir jedoch nicht vor haben den ganzen Tag am Strand zu liegen ist das auch nicht so tragisch. Da macht es auch nichts, dass wir keine Badesachen anhaben. Dafür laufen wir durch das angenehm kühlende Meer.
Ich lasse den Blick über den Sand schweifen. Es ist der perfekte Tag in Miami. Die Sonne bekommt gelegentlich einen kleinen Dämpfer von den vorüberziehenden Wolken, hinter welchen der strahlend blaue Himmel die Herrlichkeit des Tages verkündet. Das Meer funkelt türkis und peitscht sanft seine Wellen auf den Strand. Noch ahnen wir nichts davon, was Miami in diesem Moment bevorsteht, was vielleicht auch besser so ist, denn so genießen wir den Moment in vollen Zügen. Gilt es doch schließlich auch Strandhütten zu fotografieren und die Seele baumeln zu lassen.
Wir laufen den Strand entlang und kurz darauf finden wir uns in einem Park wieder. Wir setzen uns in den Schatten eines Baumes und packen die Drohne aus. Eine Minute später saust sie auch schon in die Höhe und wir sehen Miami von Oben. Was für eine Aussicht! Ich lasse die Mavic ein paar Runden kreisen und achte penibel darauf nicht zu hoch und nicht zu weit weg zu fliegen. Der Schock von Asunción sitzt noch in meinen Knochen und außerdem fliegen Flugzeuge vor dem Strand umher und ziehen Werbebotschaften hinter sich her. Heute Abend findet zum Beispiel der Geburtstag von irgend einem Typen statt und man kann sich per WhatsApp um die Teilnahme bewerben.
Einige Bilder und Videos später lande ich mein Fluggerät wieder sicher vor unseren Füßen. Es ist schon Mittag und wir haben Hunger und Durst. Direkt neben dem Park befindet sich ein Starbucks und Annika ist auf Entzug. Ein Eiskaffee muss her. Leider verstehen wir die Karte nicht wirklich – so viele Namen, über deren Bedeutung wir uns unsicher sind, überfordern uns. Der “Icecoffee”, den wir bestellen, ist die wörtliche Übersetzung selbigen. Eis und Kaffe. Ein Kaffee mit Eiswürfen, ohne Milch. Lediglich ein Schuss Vanillearoma findet seinen weg ins das seltsam anmutende Getränk. Es schmeckt nicht wirklich lecker aber der Durst treibt es rein. Der leere Becher, in dem sich noch genügend Eis befindet, wird am Trinkbrunnen mit Leitungswasser aufgefüllt und ein zweites Mal entleert.
Dann suchen wir nach etwas essbarem. Während wir umherirren und nach Fastfood-Läden Ausschau halten, entdecken wir eine Pizzeria, die mit “der besten Pizza in Miami Beach” wirbt. Eine kleine Schlange steht vor der Kasse fast bis zum Ausgang des schmalen aber dafür relativ tiefen Ladens. Hinter einer Reihe Tische befindet sich die Auslage. Pizzas gigantischer Ausmaße werben darum, von den hungrigen Gästen verzehrt zu werden. Eine Slice kostet 5 $, eine ganze Pizza zwischen 10 $ und 15 $, wobei man davon ausgehen kann, dass es sich hierbei um Pizzen normaler Größe und nicht die Riesen des Schaufensters dreht. Eines der 8 Stücke der Megapizza ist schon fast so groß wie eine herkömmliche Tiefkühlpizza in Deutschland. “Amerika, das Land der Giganten.”, denke ich, während wir uns auf den Hockern vor der Bar nieder lassen und darauf warten, dass unsere Slices aus dem Ofen kommen.
Sie kommen. Sie dampfen ein wenig, sind aber sofort verzehrbereit – und verdammt lecker. Wow, das ist wirklich eine ausgezeichnete Pizza. Ein wenig zu viel Käse für Annikas Geschmack aber dennoch stopft sie Gabel für Gabel in sich hinein. Ich tue es ihr gleich und nachdem wir jeweils eine Hälfte des riesigen Stückes vernichtet haben, sind wir auch schon voll. Knoblauch muss im Belag oder der Soße gewesen sein, nicht zu viel, so dass es nur einen angenehmen Unterton ausmachte. Der Boden war knusprig und der Käse zieht, wenn sie frisch aus dem Ofen kommt, lange Fäden. Wir sind sehr positiv überrascht. Leider fehlt auf dem Bild etwas zum Größenvergleich, aber um dieses Baby einzupacken braucht man einen herkömmlichen Pizzakarton und bekommt das Stück dort gerade so rein.
Dann schlendern wir noch ein wenig durch die City und beobachten das Treiben. Am Strand stählen gebräunte Burschen beim Sport im Open Air Gym ihre Körper. Man muss schon ein wenig verrückt sein um in der prallen Sonne die heißen Metallgeräte zu Trainingszwecken zu benutzen aber in Miami musst du nun mal jung, sportlich und schön wirken, wenn du dich am Strand präsentieren willst – vor allem wenn du vor hast das Nachtleben unsicher zu machen.
Ein wenig später kaufen wir uns im Supermarkt eine 3 L Flasche Wasser um unseren erneut aufgekommen Durst zu löschen. Wir nutzen das kostenlose Wifi des Supermarktes um uns ein Uber zu rufen und zurück zum Motel zu fahren. Das muss man dem Land lassen: fast jeder Laden und eigentlich jeder Supermarkt bieten ihren Kunden kostenloses WLAN an und die tausenden Uber-Fahrer bringen dich schnell an jeden Ort in der Stadt.
Im Motel fallen wir erledigt ins Bett und schmeissen den Laptop an. Der nächste Tag will geplant werden. Wir vergleichen Tourenanbieter und buchen schließlich eine Everglades Tour im Gator Park, für die wir nicht erst hunderte Meilen in den Westen fahren müssen. Dann werden ein paar E-Mails beantwortet und anschließend gönnen wir uns zum Ausklang des Abends ein paar Serien.
Als am nächsten Morgen der Wecker klingelt fühle ich mich irgendwie ziemlich erledigt. Die Sonne am Strand hatte mir mehr zu schaffen gemacht als ich zuerst dachte und ich fühle mich dehydriert. Ich vernichte eine halbe Flasche Wasser in einem Zug, schlucke meine Tabletten herunter und fühle mich gleich viel besser. Heute belge ich mein Brot mit Schinken und verdrücke gleich zwei davon. Dann wird das Uber gerufen und schon sind wir auf dem Weg zu den Aligatoren Floridas.
Während wir den Freeway entlang rollen ändert sich die Landschaft. Hochhäuser weichen erst kleineren Einfamilienhäusern und dann sieht man auf einmal endlos erscheinende Weiten. Es sind nur wenige Bäume auszumachen, dafür viel flache Graslandschaft. Hier und da kommen wir an verschiedenen Everglades-Touren-Anbietern vorbei. Sie sehen sich alle ziemlich ähnlich und auch das Programm dürfte immer das gleiche sein. Schließlich erreichen wir das Gelände unseres Parks.
Als wir aussteigen und uns bei der Fahrerin bedaken ruft uns einer der vor dem Eingang sitzenden Ranger zu, wir sollen die Fahrerin nach ihrer Nummer fragen, denn Uber-Fahrer würden nicht so weit heraus fahren um Kunden abzuholen. Das tun wir auch und betreten den Souvenirladen, an dem wir unsere Tickets abholen. Dann heißt es erst mal warten. Es hieß zwar, dass die Touren ab 9 Uhr losgehen, doch da wir bisher die einzigen im Park sind, müssen wir noch auf mehr Kundschaft warten. Andernfalls würde sich die Bootstour nicht lohnen.
So erkunden wir eine dreiviertel Stunde lang das kleine Areal. Es gibt mehrere Gehege mit Krokodilen, ein paar interessant aussehende Bäume und einige Ausstellungstücke – ausgestopfte Vögel, Knochen und dergleichen. Am Pier stehen ca. 20 Airboats, die für die Everglade typischen Boote, die statt von Schiffsschrauben von riesigen Propellern angetrieben werden. Wir schießen Fotos und so langsam trudeln weitere Gäste ein. Die Tour kann losgehen.
Unser Führer des Tages ist der Ranger Steve, der mit einer sehr tiefen Stimme jedes Wort, dass er sagt, rollt als wolle er damit Blätterteig backen. Seine rauchige Stimme klingt irgendwie witzig und er treibt seine Späße mit den Anwesenden. Zuerst fahren wir durch eine Schneise in den Mangroven. Links und Rechts wuchern Bäume einige Meter hoch. Ich verstehe nicht ganz, was das für Bäume sind aber eine Spezies bleibt mir in Erinnerung: Annona glabra – der Sumpfapfel. Die Apfelbäume tragen sogar Früchte.
In einigen hundert Metern Abstand treffen wir immer wieder einzelne Krokodile an. Sie schwimmen ganz nah am Boot vorbei und Steve kennt jedes von ihnen beim Namen: Lucy, Snapper, Fingerbiter (ein noch sehr kleines Exemplar). Er schmeißt ihnen kleine Häppchen von seinem erhobenen Sitzplatz am Heck des Bootes aus zu. Dann macht der Fluss eine Biegung und Steve gibt Gas. Mit Höchstgeschwindigkeit driftet er um Kurven und über das aus dem Wasser ragende Gras hinweg. Es ist nicht sehr tief, vielleicht geht es bis zum Knie. Aussteigen sollte man wegen der Aligatoren aber trotzdem nicht.
Die Landschaft ist genial. Gras so weit das Auge reicht, aber darunter verborgen Sumpf und Wasser. Es ist schwer sich vorzustellen, dass die Gegend in Wirklichkeit ein bis zu 60 km breiter Fluss ist, der, wenn auch an vielen stellen nur wenige Zentimeter tief, dennoch eine Fließgeschwindigkeit von einem Meter pro Stunde erreicht. Wir brausen dahin, Wind weht um unsere Köpfe und spendet in der heißen Sonne angenehme Kühle. Das Wasser spritzt uns ins Gesicht, jedes Mal wenn Steve abrupt die Richtung ändert und das Boot nahezu seitwärts durchs Wasser gleitet und über die Wiese gleitet. Ich schaue nach hinten und sehe, wie sich das Gras, welches unser Bot beim Darüberhinweggleiten umgeknickt hatte, sich wieder erhob, einmal zurück schwang und dann wieder an Ort und Stelle stand, als wäre nie etwas gewesen. Eine Dreiviertelstunde später ist der Spuk auch schon wieder vorbei und wir trudeln gemächlich am Pier ein.
Dann folgt noch eine kleine Alligator-Lehrstunde. In einem überdachten Pavilion, in dessen Mitte sich in einem Gehege vier Alligatoren tummeln und zu dessen Seiten sich Sitzreihen erheben, wartet ein weiterer Ranger darauf, uns Wissenswertes über die urzeitlichen Reptilien zu vermitteln. Die erste Sitzreihe zu jeder Seite ist gesperrt, Gesetz des Staates. Man muss mindestens so und so viel Fuß Abstand einhalten. Als Aufpasser holt der Ranger eine etwa basketballgroße Schildkröte hervor, welche ein Schild auf dem Rücken trägt: “Bleib zurück, ich beiße”. Er wirft ein paar Salatblätter auf den Boden und die Schildkröte fängt an sich darüber her zu machen. Dann verzieht sie sich ohne sein Zutun wieder in ihre Kiste. Im Laufe der Show werden die Alligatoren gefüttert, ein Kakadu fliegt umher und der Ranger zeigt uns einen pechschwarzen Skorpion, der etwa die Größe einer Hand hat.
Nach der Show gehen wir zurück zum Eingang. Leicht entsetzt stellen wir fest, dass es hier kein Wifi gibt, also können wir es schonmal vergessen die Uber-Fahrerin per Skype anzurufen. Wir fragen nett und uns wird geholfen. Die Dame hinter der Kasse tätigt den Anruf und hält mir den Hörer hin. Leider ist die Verbindung mehr als schlecht und ich verstehe die schnell redende Frau am anderen Ende der Leitung nicht sehr gut. Irgendwann legt sie einfach auf. Ich bitte die Kassiererin das Reden zu übernehmen und sie ruft sie noch einmal an. Sie klärt die Details und angeblich würde das Uber uns jetzt holen kommen. Eine Stunde später sitzen wir jedoch noch immer genervt vor dem Shop. Ich frage erneut, sie ruft erneut an und uns wird mitgeteilt, dass der Verkehr so schlimm wäre aber sie auf dem Weg ist. Eine weitere halbe Stunde später wird ein weiterer Anruf schließlich einfach ignoriert und es steht fest: wir werden nicht abgeholt. Na danke, das hätte sie auch direkt sagen können.
Wir werden gefragt, wo wir denn hin wollen. Als ich sage, dass wir gerne zu Walmart fahren würden schaut man uns ungläubig an. “Ihr wisst, dass der Laden komplett leer geräumt wurde? Die Leute haben wegen dem Hurricane alles aufgekauft!”. Hurricane? Warte, was für ein Hurricane? Und da fällt mir plötzlich der Fernseher im Pizzaladen ein. Er war auf Stumm geschaltet aber die Bilder zeigten einen Hurricane. Ich dachte, das war der, der kürzlich in Texas gewütet hatte. Davon hatten wir selbst in Paraguay etwas mitbekommen. Doch scheinbar war schon der nächste im Anmarsch und hatte Kurs auf Miami genommen. Hurricane Irma war zu einem der stärksten Stürme angewachsen, die Florida je gesehen hatte. Oh fuck, hoffentlich kommen wir hier noch heil wieder raus. Nichts wie weg hier!
Glücklicherweise kommen ständig Touristenbusse vorbei und gerade hält auch schon wieder einer hinterm Haus. Der Busfahrer wird herangewunken, einige Dollars wechseln den Besitzer und schon sitzen wir im klimatisierten Doppeldecker auf dem Weg nach Miami Beach. Dort angekommen lernen wir einen Mann kennen, der über 10 Jahr in Düsseldorf gelebt hat. Er ist gebürtiger Amerikaner und arbeitete einige Zeit lang sehr erfolgreich in Deutschland. Irgendwann hatte er jedoch genug vom schlechten Wetter in good ol’ Germany und zog nach Miami. Ich frage ihn, ob er uns mit dem Hotspot seines Handys aushelfen könnte und er entgegnet nur, dass er keine Ahnung hat wie das geht. Er hält mir sein Handy hin und sagt: mach du das. So schaffen wir es uns ein Uber zu rufen, dass auch tatsächlich kommt.
Wir lassen uns zu Denny’s schuffieren. Dieser befindet sich in der Straße unseres Motels, ca. 2 km von selbigem entfernt. Eine etwas pummelige Bedienung führt uns zu unserm Tisch. Sie verströhmt gute Laune und redet in einem übertrieben freundlichen Ton auf uns ein. Nachdem sie uns die Karte gebracht und ein paar Minuten Gedenkzeit einberäumt hat nimmt sie unsere Bestellung auf. Es gibt natürlich Burger. Dazu Eistee für Annika und einen “Cake Batter Milkshake” für mich. Als die Getränke kommen und wir die ersten Schlücke trinken denken wir nur: wow. Verdammt ist das gut. Besonders der Milchshake. Ich hab noch nie so einen verdammt leckeren Milchshake getrunken. Ich will am liebsten eine Badewanne damit füllen und mich hineinlegen, so lecker ist er. Er schmeckt wie Keksteig und enthält außerdem bunte Zuckersträußel. Er ist verboten gut und enthält bestimmt zwei Tagesdosen an Zucker aber das ist mir egal. Ich sauge das dickflüssige Gemisch durch den Strohalm und fühle mich wie ein Kind, das an Weihnachten die Schüssel auslecken darf.
Dann kommen die Burger, zwei richtige Brummer. Zu unserer Überraschung bekommt Annika einen weiteren Eistee und ich ein großes Glas Wasser. Was für ein Service. Mit übervollem Bauch machen wir uns nach dem Mahl auf dem Weg zum Motel. Auf dem Parkplatz vor dem Diner werden wir Zeugen eines Unfalls. Ein Auto ist von hinten in ein anderes gerast und hat es von der Straße gedrängt. Leute rennen zu den beiden verbeulten Wracks und rufen die Polizei. Die Insassin des vorderen Wagens liegt zwischen dem Gehweg der Straße und dem Parkplatz auf einem Streifen Rasen im Schatten der Palmen, ein Mann versorgt sie. Die beiden Insassen des anderen Autos sitzen in Schockstarre noch auf den Vordersitzen ihres Fahrzeugs.
Da genügend Helfer vor Ort sind, wir nicht als blöde Schaulustige abgestempelt werden wollen und den genauen Tathergang auch nicht wirklich gesehen haben, gehen wir an den Trümmern vorbei in Richtung Motel. Auf dem Weg dorthin kommt uns auch schon die Polizeistreife entgegen um den Unfall aufzunehmen. Ich wünsche den Menschen innerlich alles Gute und hoffe, dass außer dem Blechschäden nichts ernsthaft schlimmes passiert ist. Mit dem nahenden Hurricane haben sie sicherlich schon genug zu fürchten.
Unterwegs kommt eine etwas ältere, abgemagerte Frau auf uns zu. Falten hängen in ihrem Gesicht aber ihre Statur lässt darauf schließen, dass sie noch nicht so alt sein kann. Vielleicht 40 oder 50 und ihre Ausstrahlung kann mit einem Wort beschrieben werden: Hunger. “Hey guys, do you have a cigarette?”, fragt sie und ich erhasche einen Blick auf ihre verfaulten Zähne. Wir verneinen und gehen weiter. Sie muss wohl ein Crystal Meth Junkie sein, philosophieren wir. Ihr Körper sehnt sich nach Nahrung und der Droge, ständig im Konflikt darüber welche der zwei Bedürfnissen zu erfüllen wichtiger ist. Zurück im Motel werfen wir sofort den Laptop an und fangen an uns über den Hurricane Irma schlau zu machen.
Es handelt sich um einen der stärksten Stürme, die die Region je gesehen hat. Zu letzt hat er einige Inseln überrollt und für verheerende Verwüstung gesorgt. Panisch springe ich im Browser von Seite zu Seite um in Erfahrung zu bringen, wann er Miami erreichen wird. Dann die Erleichterung. Er kommt erst am Ende des Wochenendes, vielleicht sogar erst Montag oder Dienstag. Genügend Zeit für uns um außer Landes zu kommen.
Den nächsten Tag verbringen wir ausschließlich im Motel. Wir fühlen uns beide nicht so gut und draußen ist es heute besonders heiß. Wir wollen einfach nur vor der Klimaanlage liegen, amerikanische Süßigkeiten in uns rein stopfen und entspannen. Das tun wir dann auch. Zwischendurch watscheln wir immer mal wieder zu einer Tankstelle, die sich einen Block weiter befindet, um uns mit neuen Leckereien einzudecken. Zu unserer Verwunderung sind die, trotz Tankstellenshop, gar nicht so teuer. So langen wir beherzt zu. Vor der Tanke hat sich eine endlose Fahrzeugschlange gebildet. Sie reicht einmal um den kompletten Block und bewegt sich nur sehr sehr langsam. Die Leute wollen entweder vorsorgen – wer weiß wann nach dem Sturm die Tankstellen wieder öffnen – oder benötigen den Sprit um die Stadt zu verlassen.
Am nächsten Morgen fahren wir extrafrüh zum Flughafen. Wir sind sonst schon immer spätestens 3 Stunden vor Abflug da doch dieses Mal sind wir noch früher gekommen, da die Airline uns eine Mail geschickt hat, dass der Checkin früher öffnet. Am Schalter unserer Airline ist noch fast nichts los als wir ankommen. Wir stellen uns in die Reihe und stellen fest, dass der Schalter erst in zweieinhalb Stunden öffnen wird.
Wie groß ist da doch die Erleichterung, als schon nach einer halben Stunde zwei Damen erscheinen und die ersten Gäste einchecken. Erst die, die schon online eingecheckt haben und nur mit Handgepäck reisen, dann den Rest. In der Schlange lernen wir ein deutsches Pärchen kennen, das ursprünglich aus Polen kommt. Ihnen wurden die Pässe, das iPad und weitere Wertsachen aus dem Mietwagen geklaut und sie haben nun nur einen vorläufigen Reisepass. Ich fungiere als Übersetzer, da die beiden kaum Englisch sprechen, und erkläre der Flughafen-Angestellten, was es mit den Papierfetzen auf sich hat. Nach anfänglicher Verwirrung verschwindet sie um Kopien anzufertigen. Nach 15 Minuten kommt sie wieder und checkt auch uns schließlich ein. Die Koffer türmen sich hinter den Schaltern, da die Bänder noch nicht laufe aber hey, wir haben nur Handgepäck also interessiert und das nicht.
Jetzt sehen wir zum ersten Mal das Chaos, das hier herrscht. Die kleine Schlange, an dessen Spitze wir uns befanden, reicht jetzt durch den halben Flughafen. Zum Glück waren wir so früh da. Jetzt können wir entspannt in den Sicherheitsbereich gehen, uns eine Bank suchen und warten bis der Flieger geht. Bei Pizzahut holen wir uns noch eine Minipizza auf die Hand und freuen uns, dem Sturm entkommen zu sein. Aus den Nachrichten erfahre ich, dass ab der Mittagszeit der Andrang so richtig los ging. Das nächste mal informieren wir uns besser vorher über kommende Wirbelstürme. Wären wir nur zwei Tage später gekommen hätte es uns vermutlich voll erwischt. Dann wäre der Flug gestrichen worden und wir hätten auch die Anschlussflüge verpasst. So aber hatten wir mal wieder Glück im Unglück.
Wir hatten sogar richtiges Glück, denn wir lasen, dass die Airline mit der wir flogen (WOW Air) ziemlich streng ist, was ihr Handgepäck angeht. Wir fürchteten schon den Ticketpreis verdoppeln zu müssen, da wir weit über den erlaubten 7 kg pro Gepäckstück waren und die Rucksäcke auch nur sehr knapp in das extra kleine Fach der Messstation passten, aber am Schalter hieß es nur “10 bis 15 Kilo sind Okay, kein Problem”.
Zufrieden stiegen wir in den Flieger, ungewiss dessen, was uns erwarten würde, und machten es uns bequem. Es sollte eine der anstrengendsten Flugreisen folgen, die wir jemals hatten. Doch was uns dabei alles kurioses widerfuhr, erzähle ich dann im nächsten Beitrag.