Ich bin gestresst. “Gestresst?“, fragst du, “du bist doch seit über zwei Jahren im Urlaub, wie kannst du da gestresst sein?”. Nun ja, wir sind ja nicht wirklich im Urlaub. Wir sind Langzeitreisende und das ist etwas völlig anders. Wir wollen ortsunabhängig leben – leben, nicht einfach nur reisen – und da ist man halt auch schonmal gestresst. Doch warum bin ich im Stress?

Nun, es dauert jetzt keine Woche mehr bis es los geht. Auch wenn ich das Reisen mag, so finde ich es auch immer angenehm eine Zeit lang an einem Ort zu bleiben. Jeder neue Aufbruch bedeutet eine Umstellung. Alles ist neu. Man weiß nicht woher man etwas zu Essen bekommt, wo man schläft, was einen erwartet und es kostet natürlich auch immer mehr als wäre man an einem festen Ort – besonders Hotels gehen ins Geld, ein Hoch wenn man ein Auto hat in dem man nächtigen kann, so wie damals in Australien.

Bevor es jedoch losgehen kann, müssen noch einige Vorbereitungen getroffen werden. Wir reisen zwar nur noch mit Handgepäckrucksäcken doch auch die müssen ja irgendwo hin. Doch wohin? Auf dem Motorrad gibt es nur einen winzigen Gepäckträger und mit Rucksack vorne auf dem Bauch zu fahren ist auf Dauer ziemlich nervig. Außerdem haben wir jetzt noch die Drohne im Gepäck. Die ist zwar nicht sehr groß aber passt auch nicht mehr in die ohnehin schon vollen Rucksäcke.

Also muss eine andere Lösung her. Zum Glück macht Not erfinderisch und so tüftele ich in Gedanken seit einigen Wochen an einer Lösung. Diese gilt es nun in die Tat umzusetzen. Mit einer notdürftigen Skizze, welche ich mit einem Fineliner auf einen schmutzigen Fetzen Papier gekritzelt habe, und meinem iPhone als Übersetzer in der Tasche, schwinge ich mich auf das Bike und fahre los.

Die Mission: einen Schweißer finden, der mir meine Konstruktion in die Tat umsetzt, am besten ohne dafür ein kleines Vermögen auszugeben. Unser “passives” Einkommen wächst zwar langsam, reicher aber immer noch kaum um davon gut leben zu können, erst recht nicht wenn man noch Rücklagen bilden möchte. Als erstes fahre ich die Vertragswerkstatt des Ladens an, wo ich das Motorrad gekauft habe. Dort kennt man mich bereits und ich bekomme erst mal einen Becher Tereré in die Hand gedrückt.

Ich erkläre dem Burschen, er dürfte in etwa mein Alter haben, wenn er nicht sogar etwas jünger als ich ist, was ich denn von ihm benötige und als er anfängt zu begreifen, schwingt er sich auf einen Roller und saust davon. Eine Viertelstunde später kommt er zurück, fuchtelt mit den Armen, philosophiert mit mir kurz über eine mögliche Umsetzung und schon ist er wieder weg, diesmal um einen Freund zu treffen.

Weitere 10 Minuten später kommt er samt Freund zurück doch dieser weiß auch nicht weiter. Sie kommen zu dem Entschluss, ich müsse eine Herrería, eine Schmiede, aufsuchen. Jedoch nicht die, die sich gerade einmal zwei Häuser weiter die steile Straße hinauf befindet. Die sei geschlossen. Ob nur heute oder generell bringe ich nicht in Erfahrung noch doch ich frage, wo denn eine sei. Die Jungs wissen es nicht und sagen, ich soll einfach der Straße folgen.

Kurz darauf fahre ich kreuz und quer durchs Dorf auf der Suche nach Läden die aussehen als würden sie Metall verarbeiten. Ich halte bei einem Laden der aussieht, als könne man mir helfe. Dort erkläre ich abermals mein Anliegen doch auch diese drei Männer können mir nicht helfen – sie haben kein Schweißgerät. Dafür kennen sie einen Schmied. Kurzerhand fährt einer der Männer mit dem Motorrad voraus und ich folge ihm in eine Seitenstraße wo wir vor einer kleine Halle halten, welche vollgestopft mit Metallstreben, -rohren und -gittern ist. Darin steht ein einzelner Mann und schweißt fröhlich vor sich hin an einem silbernen Rahmengestell. Ich kann nicht erkennen was es einmal werden soll.

Nachdem mein neuer Freund den Schmied gerufen hat, legt der sein Arbeitswerkzeug nieder, begrüßt seinen Bekannten freudig und schüttelt auch mir mit einem kräftigen Händedruck die Hand. Mit Übersetzungsapp, Skizze und Zeichensprache erklären wir ihm gemeinsam, was er bauen soll. Leider winkt er ab. Er habe momentan zu viel Arbeit. Wie lange ich denn Zeit hätte, fragt er, doch da wir schon in einer Woche los wollen, muss er den Auftrag ablehnen.

Also fahre ich abermals durch die Gegend. Da fällt mir der Hinterhof ein, den wir neulich beim Spazieren gesehen haben. Er stand voll von Motorrädern und Motorradanhängern, welche stark nach Selbstbau aussahen. In meiner Not greife ich nah jedem Strohhalb und so hole ich Annika zu Hause ab – für den Fall das es länger dauert und wir noch andere Geschäfte aufsuchen müssen, dann bin ich wenigstens nicht allein – und wir fahren los.

Die Werkstatt, sofern man sie denn so nenn kann, liegt nur ein paar Straßen von unserem Haus entfernt und wir erreichen das Gelände in weniger als 5 Minuten. Ein einsamer Bursche, er müsste so Anfang 20 sein, sitzt auf einem Plastikstuhl im Schatten eines Baumes, tippt auf seinem Handy herum und schlürft Tereré. Zielstrebig gehe ich auf ihn zu, präsentiere ihm meine Zeichnung und frage ihn, ob er das für mich bauen kann. Gemächlich lehnt er sich nach vorne, betrachtet die Blaupause skeptisch und ruft dann seinen Bruder. Oder Kollegen? Ich weiß es nicht.

Dieser kommt aus dem kleinen Bretterverschlag, der vermutlich ihr Zuhause sein dürfte und begrüßt mich freundlich. Ich erkläre wieder einmal, was ich brauche und dieses Mal könnte ich Glück haben. Er scheint direkt zu verstehen, was ich will und hat auch schon einen Plan. Kaum habe ich fertig erzählt, was wir vorhaben wuselt er los und kramt aus verschiedenen Orten im Hof Eisenrohre hervor.

Diese halten wir an entsprechenden Stellen ans Motorrad und mit einem Maßband wird noch schnell Maß genommen, bevor das Geschäft mit einem Handschlag besiegelt wird. Er wird mir einen Gepäckträger bauen. Dieser soll dazu dienen, die Rucksäcke links und rechts hinten am Motorrad anbringen zu können. Wie eine Art Satteltasche. Überglücklich gilt es jetzt nur noch den Preis zu verhandeln. Er schreibt 500.000 auf den Zettel und mein Magen zieht sich zusammen.

500.000 Guarani, das sind etwa 75€. Das ist viel mehr als ich gehofft hatte. Und das nur für ein paar Rohre? Doch dann fällt ihm ein Fehler auf und eine 0 wird gestrichen. 50.000 soll der Preis sein. Und nochmal 15.000 für eine Lackierung des fertigen Gestells. Das sind etwas weniger als 10 € in Summe. Damit kann ich gut leben. Ich soll am nächsten Tag wieder kommen, dann würde er sich darum kümmern.

Pünktlich zur vereinbarten Uhrzeit stehen Annika und ich erneut vorm Zaun doch der junge Mann dessen Namen ich nicht kenne muss uns vertrösten. Es sei eine dringende Reparatur dazwischen gekommen. Ob es uns etwas ausmachen würde morgen wieder zu kommen. Gut dass wir noch ein paar Tage Zeit haben. Auf der anderen Seite hätte ich mich eigentlich schon vor Wochen darum kümmern sollen. Nun ja, so ist es jetzt halt.

Tags darauf stehe ich abermals in dem kleinen Hof, der vom Chaos heimgesucht wird, und sehe zwei Kollegen oder Brüdern – ich traue mich aus unerfindlichen Gründen nicht nachzufragen, vielleicht um nicht zu seltsam rüber zu kommen – beim Schweißen meiner neuen Rucksackhalterung zu. Heute sind insgesamt 5 Leute anwesend und ich habe keine Ahnung in welcher Beziehung sie zueinander stehen.

Zwei schweißen meinen Gepäckträger. Der, den ich schon von den letzten Tagen kenne und ein neues Gesicht. Zwei weitere befreien gerade eine Cross-Maschine von ihrer Verkleidung und ein fünfter setzt mit vollem Eifer einen ausgebauten Motor eine neue Dichtung ein. Im Hof laufen zwei Hunde und ein kleines Kücken herum und ich entdecke ein Gestell, was wohl mal zu einem Spaßmobil werden soll. Außerdem sehe ich jede Menge Metall in allen Variationen, diverse Motorräder und -roller mit und ohne Innereien und jede Menge Müll.

Während ich mich umsehe bekomme ich am laufenden Band Tereré angeboten und obwohl ich anfangs noch die Hoffnung hatte recht zügig wieder nach Hause zu können, dauert es doch länger als erwartet. Die beiden Schweißkünstler legen ständig Pausen ein, nicht nur um den kalten Mate-Tee in sich hinein zu schütten. Erst braucht die Flex eine neue Trennscheibe, dann fehlen die Maße für die Abstände und zu allem Überfluss ist auf einmal der Tereré alle, da muss natürlich erst einmal eine neue Packung organisiert werden.

Da ich keine Lust habe ewig zu warten und ich mich auch nicht wirklich unterhalten kann, entschließe ich mich nach Hause zu gehen. Die Jungs sprechen übrigens vorwiegend Guarani miteinander. Mein Spanisch ist schon mehr schlecht als recht doch von Guarani verstehe ich kein einziges Wort. Ich lasse mein Motorrad bei ihnen stehen und hoffe, dass es dort in guten Händen ist und man mir nicht heimlich den Motor ausbaut und durch ein altes oder kaputtes Exemplar ersetzt. Davon wären schließlich genügend vorhanden. Es liegen überall Zahnräder, Wellen und Zylinder herum, daraus könnte man sicherlich fünf Motoren bauen, aber ich mache mir nicht all zu viele Sorgen. Das Motorrad werde ich dann hoffentlich morgen abholen können.

Neben dem hoffentlich funktionierenden Gepäckträger habe ich noch den Wunsch geäußert, die hinteren Blinker zu versetzen, da diese den Rucksäcken sonst im Weg wären und man sie unter Umständen dann nicht mehr sehen könnte. Ob alles klappt, ich mein Motorrad in einem Stück wieder bekomme und der Gepäckträger hält, was er halten soll, erfährst du dann im nächsten Teil dieser Serie.